Sonntag, 8. November 2009

Steht auf wenn ihr lesen könnt: Der FC Bayern braucht ein Kultur-Upgrade

Am Wochenende gab es erstmals wieder Hoffnung für das wahlweise Samstags oder Dienstag/Mittwoch im Frust-Weißbier ertränkte Gemüt von FCB-Enthusiasten. Leider nicht in der Arroganz-Arena (oder im Sky-Bar-Keller), sondern zum Frühstückskaffee: Phillipp Lahm hat endlich seine Rolle als letzter verbliebener eloquenter und g'scheiter Bayern-Seelenspieler angenommen und der (ob der Krise ebenfalls schon recht verzweifelten) Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben. Das hat er sich einiges kosten lassen. Denn dass der Fabrikwurscht Uli den satten Einseiter auf seinen berechtigten Inhalt hin lesen würde war nicht zu erwarten. Wäre das eine Option gewesen hätte Lahm die Probleme tatsächlich auch intern ansprechen können - dort fährt allerdings derzeit ein mit Legenden (und Geistern) von vorgestern besetzter Zug nach nirgendwo. Der Gang zum ortsansässigen, dem Diskurs gewachsenen, Qualitäts-Printmedium war also die einzig richtige Wahl. Er ändert den Zuschnitt der öffentlichen Diskussion, baut externen wie inneren Druck auf wo er nötig ist, und vollendet Philipp Lahm als Spielerfigur wie man sie bei Bayern sehen will - und immer wieder gesehen hat.

"You have to win Zweikampf"
Selbstbewusste und des mehrteiligen Gedankens mächtige Profis gab es bei Bayern oft. Ob (der allerdings später, zu Fernseh-Stammtischzeiten, bitter und unpräzise gewordene) Paul Breitner, der auch einst eine Rebellion anführte, oder angenehm streitbare Nichtkonformisten wie der Baske Bixente Lizarazou, der sich weder seine - auch ökopolitisch motivierten - Surftrips verbieten noch von L'Equipe sagen ließ, Bayern sei nicht seiner würdig. Da konnte er böse werden. Dass Philipp Lahm nun aufbrausend geworden ist kann man allerdings nicht sagen: das Interview ist genau (und genau richtig) getimt, in der Wortwahl ruhig und vor allem mit Bedacht vorbereitet. Es ist schwer vorstellbar, dass es der Einwurf eine Einzelaktion Lahms war - zu ideal ist er als Wortführer: zweimal im Text betont er, warum er sich in der Lage sehe, sich das Recht rauszunehmen, deutlich und öffentlich Klartext zu reden. Ein Statement wie dieses ist kein hastiger Phoner, kein spätnächtlicher Anruf bei bayernafinen Redakteuren, sondern ein redigierter und inszenierter Coup, der hin- und hergeschickt wird bis die Endfassung steht (auch wenn Herr Burkert sagt, Lahm sei allein und ohne Manuskript dagesessen - es ändert nichts an der gezielten Überlegung). Die Planungsbeteiligung weiterer Bayern-Spieler (Van Bommel, Van Buyten, Van Schweinsteiger, Butt (ja, Butt!), und noch einiger anderer für diese Aufgabe sprachlich zu schmächtiger oder - wie bei letzterem - einfach zu ruhiger oder noch nicht ausreichend etablierter Teilnehmer) ist durchaus denkbar. Denn: sämtliche Punkte, die Lahm anspricht und durchdekliniert sind konsensfähig!

Vermächtnis vs. Zukunft

Für die Großkopferten auf der VIP-Tribüne des strauchelnden Flaggschiffs hätte Einsicht - so sie denn möglich wäre - unangenehme Konsequenzen. Hoeneß, dessen Kopf trotz der Kälte den ganzen Nachmittag über in den Vereinsfarben zu glühen schien, ist nun der Hauptbeschuldigte. Vorwürfe an den Vorstand und seine visionäre Einfältigkeit wurden schon zu Klinsmann-Zeiten hörbar und wurden mit Mühe abgewürgt - auch weil man einen eigenverantwortlich auftretenden Trainer holte (der, falls es wieder holprig würde, kein Vorstands-Spezi ist wie der Retroartikel Heynckes - schauen Sie lieber nicht auf die Tabelle - und auch kein ausgemachter Vorgesetzten-Basher und Querdenker wie der fahrlässig ignorierte Bernd Schuster). Jetzt droht eine drei Jahrzehnte plus dauernde Manager-Karriere nicht auf einem Höhe- sondern auf dem Tiefpunkt zu versanden. Wenn nun - wie von Lahm halbdirket gefordert - Nerlinger mit viel Macht in seinen neuen Job startet hieße das vor allem, dass Rumme Sexy Knees und der auf den bereits gut ausgesessenen Dampfplaudererposten des Präsidenten weggelobte Hoeneß nicht mehr viel mitzureden hätten. Ein Aufschließen zur europäischen Konkurrenz wäre dann in der öffentlichen Wahrnehmung allein Nerlingers Verdienst. Hoeneß würde hingegen dastehen, wie ein weißblauer Robert Mugabe (oder einfach Stoiber?), der sich mit finsterer Miene an die Macht klammert und fortan des Samstags nur noch lustige Sachen zur Pause sagen darf - so wie gestern Becks: da ging es um bayrische Verteidiger-Ungeheuer von zwei Metern und drüber. Ja, was sag ich, drei Meter! Immerhin: auch der Court Jester ist eine shakespearische Figur.

Derf's a bisserl mehra sein?
Dass das Managersein heutzutage viel zu viel Arbeit ist für einen allein, und der gute Nerlinger (auch ein Bayern-Eigengewächs, Obacht!) das nie und nimmer schaffen könne ohne fremde Hilfe, ist ein schöner Schmarrn. Bei Clubs, die sich - nicht ohne Erfolg - an England orientieren macht das sogar der Trainer in der Brotzeitpause. Man will den Novizen Nerlinger nicht als mächtigen neuen Sportdirektor haben, der so eigenmächtig agieren kann wie derzeit noch ein anderer ehemaliger Spielerinvalide gone Manager-Novize. Wenn man aus Philipp Lahms Interview an jener Stelle die richtigen Rückschlüsse ziehen darf ist sich der prägende Mannschaftskern nämlich in der heimlichen Debating-Society durchaus einig mit dem neuen Mann. Womöglich hat er ein paar Pfund neue Vereinsphilosophie eingepackt - und die würde mit dem Weißbier schon viel besser runterrutschen. Das geht - laut Lahm - auch mit dem gestrengen aber lernenden Systembauer Van Gaal und seinem herzerwärmenden Wintermantel. Wenn es fertig ist, kann dann eines nicht zu fernen Tages Markus Babbel kommen. Der sieht immerhin schon aus wie der Guardiola Sepp, aber viel wichtiger: auch er ist ein eloquenter und g'scheiter Bayern-Seelenspieler und Eigengewächs. Rote Hoffnung? ¡Que sigue la revolución, compadres!